Das Leben spielt Schicksal. Wer sonst, ist man geneigt zu fragen. Aber es ist nun einmal keine griechische Schicksalsgöttin, die über Handlung und Fortgang in Silvio Blatters so eindringlichen wie packenden Erzählungen herrscht. Es ist das Leben selbst. Silvio Blatter führt uns mit seinen Erzählungen immer wieder an Wendepunkte im Leben der Figuren, er variiert das Erzähltempo meisterhaft, lässt dabei Zeitsprünge zu, erzählt einmal analytisch, also von hinten nach vorn, dann wieder chronologisch, Schritt für Schritt, bis sich oftmals diese Wellen der Zeit über einem Schicksalsschlag brechen; sei es der Tod der Ehefrau oder ihr Hund, der nun weiter betreut werden will und im Ehebett auf der Seite der toten Gebieterin schläft; sei es die Frau, die ihren 40. Geburtstag in Griechenland feiern will und dabei von den Waldbränden aus der Bahn geworfen wird — und dadurch in ein neues Leben. Silvio Blatter lotet das Leben mit dem Instrument seiner prägnant und inspiriert gezeichneten Figuren aus, er gibt ihnen einen Bios, wie die alten Griechen sagten, während das blosse Leben, das ungerichtete Vegetieren und Verharren, Zoe genannt wurde. Diese Figuren versuchen in ihrem Bios aber nicht, wie in der griechischen Tragödie, ihr Schicksal zu zwingen. Es wird ihnen mitgespielt — so wie jedem von uns. Mehr davon, Silvio Blatter! Dana Grigorcea

 

SILVIO BLATTER, *1946, Nesselnbach, Literatur, Werkbeitrag CHF 20’000. Piper Verlag

Visuals: Porträtbilder aus München, Valencia, Chicago und Zürich © zVg